Sunday, May 27, 2007

Stromboli, Roberto Rossellini, 1950

Zu Beginn schließt Rossellinis Film an die Werke der unmittelbaren Nachkriegszeit an, an deren noch im düstersten Szenario spürbaren Optimismus, an deren Vertrauen auf die menschliche Kommunikation, die Sprachbarrieren überwindet, an das, was in Bezug auf italienische Regisseure so gerne "Humanismus" genannt wird.
Doch bereits in der ersten Szene befindet sich Ingrid Bergman hinter einem Stacheldraht. Zwar verschwindet dieser bald und es wird geheiratet, sie zieht mit ihrer großen Liebe nach Sizilien und versucht, amerikanischen Pragmatismus in ein sizilianisches Fischerdorf zu importieren, doch der Stacheldraht zu Beginn des Films, der Hände, die den Italiener berühren möchten, bluten lässt und den Kuss verhindern, erschafft von Anfang an eine Distanz zwischen Ingrid Bergman und der Welt, eine Distanz, die in Stromboli immer und zuallererst eine körperliche ist.
Deutlicher tritt dieses Motiv in einer späteren Szene auf, die rückwirkend als der Beginn des Kontrollverlustes Bergmans erscheinen muss: Die irrt durch die engen Gassen des sizilianischen Dorfes, getrieben von den Schreien eines Babys, das sie doch nicht finden kann (genauso wenig wie einen Ausgang aus dem Dorf). Die Tonspur wirkt auf sie ein, treibt sie an, treibt sie in eine rein akustische Situation, in welcher ihr kein Ventil geboten wird für ihre zunehmend verzweifelteren Bewegungen. Schließlich findet sie ein anderes Kleinkind, welchem sie mit der Hand über die Wange streicht, während weiterhin das Babygeschrei zu hören ist. Doch dieser Aneignungsversuch ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Nicht, weil Ingrid Bergmans Figur Amerikaner, sondern weil Ingrid Bergman ein Hollywoodstar ist.
In einer späteren Szene bricht die konventionalisierte Hollywood-Großaufnahme von Bergmans Gesicht in die quasidokumentarischen Aufnahmen sizilianischer Fischer, die ihren fang aus den Netzen in die Boote zerren. Ingrid Bergman sieht ihnen zu und scheint doch einem anderen Film, einer anderen Welt zu entstammen. Die totale Inkompatibilität ihrer Lebenswelt mit der der Fischer wirkt wie ein körperlicher Schock, zeichnet sich auf ihren Gesichtszügen ein.
Wenig später der Vulkanausbruch, ein weiterer Schock und wie der vorhergenhende ebenfalls zu allererst körperlich spürbar. Brennende Lava sürzt auf das Dorf herunterm apokalyptische Bilder der zu den Rettungsbooten strömenden Menschen (zum ersten Mal hier Menschenmassen, nicht nur vereinzelte Gruppen).
Nach dieser zweiten Welle, die über sie hineingebrochen ist, transformiert sich Bergman, fast erscheint es, als sei eine bisher passive, ausschließlich reagierende Maschine urplötzlich aktiv geworden. Auf einmal öffnet sich der Blick vom Fenster auf das Meer hinaus und ermöglicht den Ehebruch, der vorher von ihrer Seite nicht einmal eine Möglichkeit zu sein schien. Doch der kurze Moment des aktiven Handelns, der Herrschaft über Bildraum und erzählzeit ist schnell vorüber. Die Natur ist in Stromboli allemal stärker. Während der anschließenden Flucht auf den Vulkan bricht der Film mit aller Macht über sie hinein, zwingt sie in die Knie und erzwingt vor allem den reinen, nur vom Gebet begleiteten Blick. Und hier ist der Film wieder am Anfang: Der Stacheldraht ist verschwunden, doch wieder ist der Blick das einzige, was ihr geblieben ist.

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