Monday, February 18, 2008

Il momento della verita, Francesco Rosi, 1965

Von den acht Rosi-Filmen, die ich in den letzten zehn Tagen gesehen habe, war mir dieser fast der liebste: Eine knapp zweistündige Stierkampfoper in Technicolor und Cinemascope. Die Hauptrolle übernimmt mit Miguel Mateo ein echter Matador (Künstlername Miguelin). Konsequenterweise überschreitet der Film die Fiktionalisierungsstruktur des klassischen Spielfilms immer wieder in Richtung Dokumentation. Eigentlich in Richtung Profilmisches, in Richtung Realität. Denn die Stierkämpfe kann nicht der Regisseur inszenieren, zumindest nicht 1965, lange vor CGI und zumindest nicht dann, wenn sie naturalistisch aussehen sollen. Den Stierkampf muss der Matador inszenieren. Und das geht nicht mit Schuss / Gegenschuss, mit analytischer Montage. Die Basis kann keine filmische Struktur sein, sondern nur eine Stierkampfstruktur. Natürlich trifft Rosi Entscheidungen und wählt aus. Oft entscheidet er sich dafür, seinen Miguelin und den Stier in der Totalen zu zeigen, so dass auch ihre Umgebung, Miguelins verängstigte Helfer und das begeisterte Publikum, sichtbar werden.
Die grandiosen Stierkampfsequenzen in Il momento della verita lassen die Unterscheidung zwischen Fiktionalisiertem und Dokumentarischem kollabieren, die meisten Aufnahmen entstammen offensichtlich realen Stierkämpfen und deren reale Matadore sind natürlich nicht dieselben wie die fiktionalen Matadore von Rosis Film. Dennoch verschmelzen beide Matadore zumindest für die Dauer der jeweiligen Einstellung. Der Kampf Mensch gegen Tier hat (oder wahrscheinlich hatte, CGI hat da einiges verändert) einen Überschuss an Realität im Bild zu Folge: Siehe Le sang des betes, siehe Cannibal Holocaust.
Allerdings geht dieser Überschuss stets zu Lasten des Tiers. Selbstverständlich ändert sich der Film vollständig, wenn es Miguelin an den Kragen geht. Der Film-Miguel ist in dieser Stierkampfsequenz nicht mehr identisch mit dem realen Miguelin, der triumphierende Stier ist im Gegensatz zu den vielen davor real dahingeschlachteten Stieren reine Fiktion. Und besteht nur aus einigen rein funktionalen Großaufnahmen. Dieser letzte Kampf ist auch nicht mehr in eine reale Stierkampfarena eingeschrieben, Publikum und Kämpfer teilen sich zwar noch einen filmischen Raum, jedoch nicht mehr einen realen. Und in diesem Film sind beide Arten von Räumen ganz emphatisch nicht identisch, zumindest nicht a priori, sondern nur in wenigen herausgehobenen Momenten.
Il momento della verita kritisiert den Stierkampf nicht. Manchmal scheint der Film aber darüber zu trauern, dass es nie einen Stierkampfilm aus der Perspektive der Stiere geben wird.

1 comment:

Ekkehard Knoerer said...

Ich habe auch den Eindruck, dass das ein Rosi-Schlüsselfilm ist. Man kann, wenn man will, seinen politischen Filmen anmerken, dass sie das "Reale" gegen das Nicht-Uninszeniert-zu-Habende gerne so ausspielen können würden, wie es in "Augenblick der Wahrheit" möglich ist, der Tiere wegen. Anders und überspitzt gesagt: Rosi inszeniert den Kampf in gesellschaftlichen Arenen so, als wäre er Stierkampf. Natürlich muss er da das Uninszenierte immer mitinszenieren. Aber dieser Zug des Kontrafaktischen ist erstaunlicherweise nicht Ideologie, sondern macht die Filme so interessant. (Die rein fiktionalen Szenen in "Augenblick der Wahrheit" kommen einem völlig passenderweise auch sehr schief und ungelenk vor, nicht einmal nur, weil der Hauptdarsteller kein Schauspieler ist. Sonden weil sie so viel uninteressanter sind als das, was der Stierkampf dem Rosi-Kino zu bieten hat.)