Sunday, December 07, 2008

Der Schauplatz des Krieges. Das Kino von John Ford, Hartmut Bitomsky, 1976

John Ford, so der Voice-Over-Kommentar (hoffentlich) sinngemäß, habe keinen Begriff vom Kapitalismus, aber er habe ihn erfahren. Seine Filme, so fährt der Kommentar fort, vermittelten genau das: Erfahrungen. Und benötigen, so der unausgesprochene Zusatz, deshalb zunächst keine Begriffe.
Die fehlenden Begriffe werden dann von Bitomsky nachgeliefert. Zum einen durch den Voice-Over-Kommentar, der zu weiten Teilen aus nicht einzeln ausgewiesenen Zitaten besteht (Lindsay Anderson wird genauso zitiert wie Levi-Strauss, Hitchcock und natürlich Marx / Engels), zum anderen und noch expliziter, durch Schrift.
"Die verlassene Frau" steht dann (meist, wenn nicht immer) links oben im Bild, oder "Handwerk des Tötens", oder "Die Story", oder noch simpler: "Motive". Die Schrift respektiert die Mise-en-scene, sie wird meist fernab der Figuren platziert, vor allem fernab derer Augen, die, glaubt man dem Film, das wichtigste Element des Bildes darstellen ("ein Kino der Blicke", naja, welches Kino ist nicht wenigstens irgendwie ein Kino der Blicke, das ist sicher nicht die stärkste Passage des Films). Meist liegen die Buchstaben über dem Himmel, den im Bild zu integrieren, das sagt der Film und zeigt es gleichzeitig, John Ford äußerst wichtig war.
Der Schauplatz des Krieges entwickelt seine Theorie des fordschen Kinos ganz aus dessen Bildern und besteht seinerseits aus nichts anderem als eben diesen Bildern und den addierten Begriffen (ein paar Fotografien der Familie Ford bilden die einzige Ausnahme). Zum Teil sind das Standbilder, zum Teil bewegte. Die meisten entstammen The Searchers, ausgehend von diesem zentralen Werk erkundet Bitomsky weitere, mal naheliegende, mal entlegenere (zB "Flesh") Gebiete des fordschen Kinos. Die Standbilder werden mit Begriffen aufgeladen, die bewegten Bilder sollen die Erfahrung vermitteln (die meisten Filme und leider auch das zentrale Beispiel The Searchers werden in den deutschen Synchronfassungen präsentiert, der Film korrigiert die Übersetzungsfehler wenn nötig, die Erfahrung geht natürlich dennoch zu weiten Teilen flöten).
Die Thesen sollen den Filmen entspringen und nicht von außen an sie herangetragen werden. Die Zitattechnik widerspricht diesem Projekt nur auf den ersten Blick; deren inhärente Heterogenität soll gerade verhindern, dass die Spezifität des bitomskyschen Sprachgebrauchs die Bilder wieder verschließt bzw auf dieselbe einengt.
Die Argumentation verläuft ungefähr folgendermaßen und kann hier selbstverständlich nur bruchstückhaft wiedergegeben werden, weil das entscheidende fehlt: Die Landschaft, der Himmel, der Wind und die Indianer sind die Rohelemente der fordschen Filmgrammatik, die erst in ihrer Strukturierung signifikant werden. Der Schauplatz des Krieges identifiziert eine Reihe von Oppositionen als grundlegende Elemente der Filme: Mann und Frau, Armee und Familie und so weiter. Dazu treten verschiedene Motive, deren wichtigstes ist für Bitomsky die Adoption. Eine familiäre Beziehung jenseits der Familie. Ein Tauschgeschäft jenseits (oder: am Rande) der Warenzirkulation. Wahrscheinlich, so genau formuliert der Film das nicht aus, erschließt sich das eingangs erwähnte Zitat am besten so: Die Adoption ist eine Erfahrung von Kapitalismus jenseits seiner Begrifflichkeiten. Was entsteht, ist kein Spiegel, sondern ein Modell der Welt.
Nach Bitomsky macht das die Adoption (und in der Übertragung das gesamte fordsche Kino) aber noch lange nicht zur bloßen Ideologie. Vielmehr ist, so scheint es der Film zu sagen, dem zur filmischen Erfahrung geronnene Geflecht aus Oppositionen und Motiven eine ganz und gar objektive Beziehung zum amerikanischen Experiment eingeschrieben, die sich vor allem über die Erfahrung der Fremdheit vermittelt. Denn eine solche ist die Adoption ja in der Tat.
Mir hat diese Betonung und Interpretation des Begriffs der Adoption, wie überhaupt der Großteil des Films, unmittelbar eingeleuchtet. Dennoch fällt in diesem Zusammenhang einer der wenigen Sätze, denen man widersprechen kann und vielleicht auch widersprechen muss. Es ist dies sicher nicht zufällig einer der wenigen Sätze, die über das fordsche Kino hinaus zu verallgemeinern suchen. Das amerikanische Kino sei deswegen für die ganze Welt gemacht, heißt es da wiederum nur sinngemäß (und mit Sicherheit ist auch das ein Zitat), weil die USA ein Land voller Fremder sei, eine filmgeschichtliche These, die auch in dieser poetischer Verpackung nicht stimmt. Oder wenigstens um den (industriegeschichtlichen etc) Kontext zu ergänzen wäre, den Bitomsky absichtlich außen vor lässt. Ihm genügt die Tatsache, dass Fords Eltern irische Einwanderer waren.
Solange der Film sich auf die fordsche Poetologie und deren weltsetzende Modellhaftigkeit beschränkt, kommt er den Filmen erstaunlich nahe. Dennoch bleiben in der Lesart blinde Flecken oder vielleicht eher strukturierende Abweseneheiten. Die ausführliche Analyse des finalen Angriffs der Bürgerwehr auf die Indianer in The Searchers spart ausgerechnet deren eindrücklichste Einstellung aus, nämlich den Moment, in dem die Kamera mit den Angreifern in die Indianersiedlung einreitet und die (eindeutig genozidale) Verwüstung aus der Täterperspektive verbildlicht.
An dieser Einstellung (oder vergleichbaren) müsste eine Gegenlektüre ansetzen. Denn die Indianer in dieser Einstellung lediglich als Rohmaterial zu betrachten, das funktioniert schlicht und einfach nicht. Hier drängen Ideologie und Realgeschichte jenseits aller Modellhaftigkeit vehement ins Bild (vielleicht wird der Film tatsächlich für einen Moment spiegelhaft und vielleicht ist gerade das Nebeneinander von Modell und Spiegel entscheidend) und verweisen auf die Grenzen einer werkimmanenten Analyse, eines Genres, das in Der Schauplatz des Krieges. Das Kino von John Ford sicherlich einen seiner Höhepunkte erlebte.

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