Tuesday, January 19, 2010

Berlinale 2010: Rio das Mortes, Rainer Werner Fassbinder, 1971

Hanna Schygulla sitzt in schwarzer Unterwäsche auf dem Bett und telefoniert. Sie ist die Negation in Reinform, undialektisch, jedes Wort ist aus Prinzip, nicht aus Zwang eine Lüge. Schygulla negiert. Sie negiert auch Michael Königs und Günther Kaufmanns Wunsch, zum Rio das Mortes, nach Peru zu fliegen aus Prinzip.
Nach Peru wollen sie, zur Freiheit oder zumindest zu etwas ähnlichem. Einen Begriff von Freiheit haben sie nicht, gerade deswegen müssen sie unbedingt weg von Hanna, von ihrem Boss und dem ganzen Rest. Wie lässt sich anders überhaupt irgendein Begriff gewinnen? Aber wie steigt man ins Flugzeug ohne Begriffe? Wo man doch eigentlich Kapitalist werden müsste oder Wissenschaftler, um ins Flugzeug zu gelangen. Beides scheitert - vorhersehbarerweise natürlich, was die entsprechenden Szenen natürlich nicht weniger verheerend macht. Am Ende treffen sie eine dea ex machina, denn: das Kino kann zeigen, wie es ist und es kann zeigen, wie es nicht ist, aber sein könnte. Wichtig ist, dass die Filme auch nur irgendeinen Begriff davon haben, was an ihnen dem ersteren und was dem zweiteren zugehörig ist. Sieht man einen Film von Fassbinder: dann erkennt man, dass die meisten anderen Filme eben ganz und gar überhaupt keinen Begriff davon haben. Dass sie eben doch meistens... lügen.
"Das ist halt so" heisst es immer wieder im Film, egal ob es um Kaufmanns Hautfarbe und was aus ihr folgt geht oder um die Aufteilung des Handwerkerlohns zwischen Meister, Geselle und Lehrling. Michael König und Günther Kaufmann sind die stumpfe Affirmation der Verhältnisse in dieser Allegorie. Irgendwo hinter dem Horizont liegt Peru, ein Ort, an dem vielleicht nicht mehr alles halt so ist. Hanna Schygulla bleibt währenddessen, nackt auf dem Bauch liegend, die Negation. Sie will nicht nach Peru, sie hätte nichts davon, Negation funktioniert überall gleich. Dass sie am Ende die Negation zugunsten des Lippenstifts aufgibt: das ist das Bild, auf das alles hinausläuft.
Weg von der Affirmation, hin zur Möglichkeit einer anderen Welt. Die ist aber auch schon diskursiv besetzt, von Wirtschaftswissenschaftlern zum Beispiel. Trotzdem: Negation ja, aber nicht die von Hanna Schygulla. Ein kruder Film, in dem alles stimmt, weil die krude Welt krude Filme braucht. Dann gibt es noch Ulli Lommel als Gebrauchtwagenhändler mit lila Krawatte. Und den kaputtesten Typen gibt Fassbinder natürlich selbst. Seine Großaufnahme, wie er vom Tresen aufblickt zu Kaufmann und König: alleine dafür muss man diesen Film lieben. Ich habe noch lang nicht alle Filme von dem - when all is said and done - ohne den geringsten Zweifel größten deutschen Regisseur gesehen, noch nicht einmal das Magnum opus Berlin Alexanderplatz. Ich möchte mir einige dieser Filme noch ein wenig aufsparen, auf dass ich sie genau im richtigen Moment entdecken kann. Und zwar im Kino, wo auch die Fernsehproduktionen, wie Rio das Mortes eine ist, ganz unbedingt hingehören.

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