Thursday, May 05, 2011

Suit Yourself or Shoot Yourself 1-6, Kiyoshi Kurosawa, Japan

Yuji (mit Mütze; ernsthaft; moralisch; bereit, sich zu verlieben; gespielt von Sho Aikawa, der zuletzt für Miike den "Zebraman" gab) und Kosaku (ohne Mütze; spontan; sprunghaft; zu jedem Blödsinn bereit) hängen irgendwo im urbanen Nirgendwo ab (immer wieder dieselben engen Gassen, dieselben Autobrücken, dieselben anonymen Hochhäuser im Hintergrund, dieselbe gezähmte Natur in denselben komplett duchgeplanten Parks). Die beiden sind Schuldeneintreiber, ihre Auftraggeber (ein Mann in wacky Kleidung, eine unnahbare Frau) tauchen immer und ausschließlich in einer düsteren Kneipe auf.
Sechs Filme lang begleitet Kiyoshi Kurosawa Yuji und Kosaku, sechs mal 80 sind 480 Minuten, ungefähr die Länge einer Quality-TV-Staffel auf einem Kabel/Pay-TV-Sender. Die Suit Yourself or Shoot Yourself-Serie ist allerdings an einem ganz anderen Ort entstanden, im V-Cinema, dem japanischen Äquivalent zum amerikanischen Direct-to-DVD Markt. In den Neunzigern wurde im V-Cinema noch auf 16mm gedreht, auch wenn die einzige derzeit auffindbare Version der Filme vermutlich aus einem VHS-Transfer stammt, sehen die Bilder nach Kino aus. Die Filme, entstanden in dichter Folge zwischen Mitte 1995 und Mitte 1996, hatten denn auch tatsächlich kleine Kinostarts.
Die Ausgangssituation ist in jedem Film identisch: Yuji sitzt in aller Ruhe in oder vor der gemeinsamen Wohnung, Kosaku kommt angerannt, scheucht ihn auf, aktiviert ihn; ein exaktes Ziel, oder gar ein Plan, um dasselbe zu erreichen, hat er nicht, all das ist Yujis Aufgabe (wobei auch Yuji ungern um mehr als zwei Ecken herum denkt). Der durchgeknallte, völlig unreflektierte Kosaku liefert die Grundenergie, den puren Bewegungsdrang. Schon in diesen ersten Einstellungen, die von der eingängigen Titelmusik, komponiert vom deutschen Musiker Torsten Rasch, unterlegt sind, schlägt das strukturalistische Konstruktionsprinzip dieser Filme, die alles mögliche sind, aber sicherlich keine naiven B-Movies, durch: Das Framing dieser ersten Einstellung ist jeweils in zwei aufeinanderfolgenden Episoden (also 1/2, 3/4, 5/6) identisch. (In den ersten beiden Episoden sind auch die Schlusseinstellungen identisch; das setzt sich dann aber nicht fort.)
Die Geschichten, in die die beiden geraten, entwickeln sich nicht geradlinig entlang einer Dreiaktstruktur, eher anhand struktureller Pattern, Wiederholungen und Variationen. In manchen Episoden ist ein Thema vorgegeben ("Glück / Pech", "Schatzsuche"), andere organisieren sich anhand fast abstrakter mathematischer Muster (insbesondere die grandiose Nummer fünf "The Nouveau Riche": aus einem Beutel Heroin werden zehn, die alle in eine Tüte passen; aus einer Tüte werden zehn, die wiederum alle in einen Kofferraum passen; dann schrumpfen die 100 Beutel wieder auf einen einzigen zusammen). Im Zuge dieser, aller Mathematik zum Trotz, ganz und gar nicht berechenbaren Erzählungen, stößt zu den beiden jeweils mindestens eine Frau, in die sich mindestens Yuji auch prompt verliebt. Die Männer, die im Schlepptau der Frau auftauchen, sind meist noch derangiertere Gestalten als Yuji und Kosaku.
Auffällig ist, dass in fast jedem Film die Idee auftaucht, Japan - oder zumindest die japanische Großstadt - zu verlassen. Der gesamte zweite Teil dreht sich um eine geplante Emigration nach Australien, aber auch in den anderen Episoden zieht es die Hauptfiguren nach Russland, in die USA, nach Okinawa etc. Das Verschrobene an den Figuren ist nicht nur Effekt, sondern verbunden mit einer tiefen Unzufriedenheit mit der eigenen Biografie sowie im weiteren Sinne mit der Gegenwart, über die sich die Filme keine Illusionen machen: Die Frau, in die sich in der ersten Episode ausnahmsweise gleich beide Freunde verlieben ist Kindergärtnerin; mit unschuldiger Mine erklärt sie Yuji ihre Erziehungsphilosophie. Kinder sind nicht unschuldig und rein, sondern selbstsüchtig und böse, sie müssen "trainiert" werden, wie Hunde. Später beobachtet der Film die Abrichtung, als fröhliches Kinderspiel.
Kurosawa lässt seinem Cast viel Raum für stets etwas derangiert anmutende Interaktionen, die Kamera hält gerne Abstand, einzelne Einstellungen dauern schon einmal mehrere Minuten lang; tote Zeit gibt es freilich nicht, irgendetwas passiert immer. Immer wieder tauchen Dreiecksvariationen auf: zwei Figuren auf einer Linie in gleicher Entfernung zur Kamera, ein dritter zwischen ihnen in Bewegung. Besonders in Innenräumen schichtet Kurosawa das Bild, im Vordergrund eine Personengruppe, im Hintergrund, in einem anderen Zimmer, gefilmt durch eine Schiebetür, eine zweite. Insbesondere, wenn man die Filme mit kurzen Abständen hintereinander weg schaut, bemerkt man, wie derartige Anordnungen und geometrische Muster die Filme vorantreiben und organisieren, wie die Handlungslogik sich direkt und ausschließlich aus ihrer Verräumlichung ergibt.












Verkauft wurde Suit Yourself or Shoot Yourself vermutlich als Yakuza-Serie, mit den Genrevorgängern von Fukazaku bis Kitano haben diese avandgardistischen Slacker-Komödien allerdings nicht das Geringste zu tun, die entsprechenden Schauwerte tauchen höchstens in homöopathischen Dosen auf. Es ist erstaunlich, wieviel Freiheit die Low-Budget-Produktionslandschaft für diejenigen Regisseure gewähren kann, die wissen, wie man mit ihr umgeht. Ich kenne wenig Vergleichbares und das wenige kommt meistens ebenfalls aus Japan, für einiges davon zeichnet ebenfalls Kiyoshi Kurosawa verantwortlich (u.a. das Yakuza-Diptych Eyes of the Spider / Serpent's Path sowie den experimentellen Pinku The Excitement of Do-Re-Mi-Fa Girl, dessen Misserfolg allerdings ein paar Jahre berufliche Zwangspause zur Folge hatte). Endgültig alle Erwartungen sprengt die letzte Episode ("The Hero"). Die erste Hälfte verläuft mehr oder weniger wie die anderen fünf, nur, dass sich um die beiden prekären Existenzen Yuji und Kosaku herum zum ersten Mal etwas ähnliches wie eine sozial ausdifferenzierte community sichtbar wird. Ohne Vorankündigung verwandelt sich der Film in seiner zweiten Hälfte in eine abstrakte Agitprop-Dystopie, die spätindustrielle Brache hat sich in einen Polizeistaat verwandelt, die Slacker in Rebellen, aus heiterem Himmel tauchen Godardsche Zwischentitel auf. Im revolutionären Nebel, der, wenn er sich lichtet, vermutlich eine von Grund auf neue Welt zum Vorschien bringen wird, endet eine der außergewöhnlichsten Filmserien, die ich kenne.

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