Friday, June 15, 2012

Charles Willeford: New Hope for the Dead (American Eighties 22)

Der zweite Band der Hoke-Moseley-Reihe ist ein faszinierendes Buch. Sehr gemächlich, fast behäbig geht es los, ganz anders als der erste Band Miami Blues, wo gleich zu Beginn ein Psychopath schon bei der Anreise, auf dem Flughafen, einen äußerst untermotivierten Mord verübt und wo man dann anschließend in eine Parallelmontage eingespannt wird, die bis zum bitteren Ende durchgehalten wird. Der zweite Band hat nicht einmal einen zentralen Fall, es gibt zwar eine vermeintliche Überdosis, deren Hinterfragung als Klammer dient, aber der Rhythmus des Buchs wird bestimmt von Aufschüben; von übersichtlichen Aufschüben, genauer gesagt, der Horizont bleibt trotzdem stets im Blick, nichts fällt ganz beiseite; immer wieder vergewissert sich Moseley seines Programms für die nächsten ein, zwei Tage; und immer wieder wird das Programm mehr oder weniger genau so abgearbeitet.

An Hoke Moseley bleibt im ersten Band vieles opak, im zweiten werden seine Lebenssituation, sein familiärer Hintergrund, seine finanzielle Lage und seine Stellung im Revier breit aufgerollt, er bekommt schließlich sogar seine beiden Töchter und seine kubanischstämmige Kollegin an den Hals geschrieben. Dass er sich beispielsweise die Zähne von einem befreundeten Zahnarzt hat herausschlagen und durch künstliche ersetzen hat lassen, das war zwar schon im ersten Band erwähnt worden; da war das für mich aber nur ein weirdes Detail unter vielen, das mir diesen Moseley grundlegend unheimlich gemacht hatte. Im zweiten Band wird ausführlich erklärt, warum er die Prozedur über sich ergehen lassen musste. Da hatte ich nur noch Mitleid.

Erst mit der Zeit merkt man, dass die ganze, kleinteilige Beschreiber- und Charakterisiererei darauf hinausläuft, dass am Ende nichts mehr ist, wie am Anfang, für keinen der Beteiligten. Die lächerliche Beförderungsschieberei im Revier ist eine jämmerliche Parodie der Umwälzungen, Entwurzelungen, Neuerfindungen (konkreter: Umzüge, Schwangerschaften, Familienzerwürfnisse), die im echten Leben ganze Biografien hinwegfegen. Der Clou, auf den schon der Titel verweist, die "Neue Hoffnung für die Toten", setzt genau an dieser Stelle an: Einige alte Fälle sollen Moseley und seine Partner wiederaufgreifen, um ihren Chef bei den interdepartmental politics zu unterstützen. Aber sie kommen kaum dazu, die jeweiligen Akten auch nur zu lesen, denn eine grundlegende Instabilität (die auch die anderen, älteren Willeford-Bücher, die ich kenne, prägt) sorgt dafür, dass sich gleich an den ersten beiden Tagen zwei Fälle fast wie von selbst erledigen. Rechts und links, so scheint es, fallen Menschen aus dem Leben heraus und wie zufällig wieder in es hinein. Im Kleinen, scheint das Buch zu sagen, ist alles, im Großen nichts berechenbar; und vor allem: das Große ist aus dem Kleinen nicht ableitbar. Ein, zwei, drei Schritte sind in jede Richtung kalkulierbar, aber der Abgrund unter dem vierten Schritt ist umso tiefer.

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Hoke Moseley spricht mit einer seiner Töchter:

"(...) As girls, you've got two choices. Either you work, or you marry some guy who'll support you."
"I don't want to get married," Aileen said. "Ever!"
"Okay then. You can wash dogs.(...)"

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