Friday, August 10, 2012

Preminger und Montage

Situative Zusammenhänge, die in einer Einstellung dargestellt werden können, werden auch in einer Einstellung dargestellt. Toll sind die erkundenden Kamerabewegungen, die von Element zu Element springen, sich mal an Figurenbewegungen heften, sich dann aber auch wieder von ihnen lösen, wenn sie "auserzählt" sind, nichts mehr erschließen. Toll aber auch die einfachen Schwenks entlang einer Figurenbewegung, die zeigen, woher jemand kommt und wohin er geht: in dieser einen Bewegung steckt schon der ganze Ethos Premingers, der auf der Befragung der Figuren beruht und der nicht nachgibt, bis er an eine natürliche Grenze (den Tod, zB, aber auch das Ritual, in The Cardinal, oder die Exilierung, in Hurry Sundown) stößt.

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Schnitte dagegen sind eigentlich nur zu rechtfertigen, wenn sie zwei distinkte Situationen verbinden. Schnitte innerhalb einer Situation sind Gewaltakte; das trifft manchmal sogar auf generische Schuss / Gegenschussverfahren zu: wenn John Wayne in In Harm's Way zum ersten Mal seinem Sohn gegenüber tritt, sind beide kein einziges Mal im selben Bild zu sehen. Der Sohn muss sich den Zutritt zum Bildraum des Vaters erst verdienen. Vor allem aber isolierte Großaufnahmen und point-of-view-Einstellungen verweisen auf Brüche, auf Gewalt, auf Trennung: Die Großaufnahme von Kirk Douglas, bevor er in In Harm's Way Jill Haworth vergewaltigt ist das härteste, das extremste Beispiel. Die Kälte und Isolation im letzten Film The Human Factor ist nicht zu trennen von einer extrem analytischen Montage, die die früheren, optimistischeren Filme vermeiden.

Normalerweise bleiben Blicksubjekt und Blickobjekt im selben Bildraum vereint. Großartig ist in dieser Hinsicht die letzte Sequenz von Bunny Lake is Missing, wo eine Frau einen Mann minutenlang beobachtet: Preminger schneidet nicht zwischen dem beobachtenden Gesicht und dem Objekt der Beobachtung hin und her, sondern konstruiert zweiwertige Bilder, wählt durchweg Perspektiven, die beide gleichzeitig zeigen. Die räumliche Kontinuität, die Darstellung von Zusammenhängen im Modus der Gleichzeitigkeit macht die Welt nicht zu einem sichereren Ort; ganz im Gegenteil trägt sie schier unerträgliche Spannungen in sie ein.

Eine der schönsten Sequenzen im Werk, soweit ich es kenne: die erste Wien-Sequenz in The Cardinal. Es gibt da zwei Szenen, in denen der Bruch zwischen dem zweifelnden Kirchenmann und der säkularen Welt ausagiert wird: zum einen eine Ballszene, mit einer Großaufnahme seines Gesichts und einem anschließenden point of view der tanzenden Menge. Für einen Moment noch kann er ihr Teil werden, aber sein Schicksal ist schon mit diesem Schnitt, mit dieser Trennung, besiegelt. Wenig später schaut Romy Schneider, die Frau, in die er sich verliebt hat und die auch ihn liebt, durch ein Fenster auf ihn, der wieder seine kirchliche Uniform angelegt hat. Diesmal bekommt sie die Großaufnahme, dann folgt aber nicht der point of view, sondern eine Einstellung, die die faktische Trennung der beiden (durch die Fensterscheibe) im Bild registriert. Die beiden Schnitte alleine widerlegen die gesamte suture-Theorie: eine Montage, die sich am Blick orientiert, vernäht nichts, sie trennt, reißt auf, zerstört, balsamiert ein; zumindest tut sie das, wenn sie Respekt vor der Komplexität des Blicks hat. Und ein guter Film hat immer mehr Respekt vor dem Blick als schlechte Theorie.

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Gerade nachgelesen: Stefan Ripplinger in cargo 01 über Chris Fujiwaras Premingerbuch, das ich mir demnächst besorgen werde (Fujiwara war in Locarno und hat sehr interessant über In Harm's Way gesprochen):

Für Chris Fujiwara liegt das Grundprinzip von Preminger in einem Wechsel von Zu- und Abwendung, der sich nicht selten in Zu- und Abwendung der Kamera ausdrückt. Niemals nimmt sie den Blick eines anderen ein, sie betrachtet und bestaunt die Personen. Aber in keiner Einstellung wird sie so pychologisch wie bei Hitchcock. Premingers Kamera bleibt eine dritte Person, sie ist keine Besserwisserin, sie ist keine Beteiligte, aber doch immer diskret anwesend. Sie ist die Frage eines Skeptikers.

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