Friday, September 12, 2014

Cuba Libre, Christian Petzold, 1996

Endlich gesehen habe ich, im Anschluss an Phoenix, Petzolds Frühwerk, seine drei Fernsehfilme aus den 1990ern. Die Filme sind noch nicht so stark wie die späteren von der Erzählung her gedacht, dadurch wirken sie freier, lockerer gefügt. Es bleibt den Figuren zwischendurch Zeit, sich gemeinsam am Straßenrand auf die Kühlerhaube zu setzen und über das Leben zu reden. Wenn dann doch Erzählungen in Gang kommen, bleiben es sozusagen Erzählungen auf Probe: Da der Alltag nichts taugt (Vorstellungsgespräche, Verkaufsgespräche, verkaufsgesprächähnliche Flirts an der Bar), können wir auch einmal etwas nicht-alltägliches probieren, zum Beispiel eine Erzählung wie aus dem Kino. Viel braucht es dafür nicht. Eigentlich reicht ein Geldkoffer.

Darin, in diesem melancholischen Eskapismus, sind die Filme auch Filme über das wiedervereinigte Deutschland, in dem man sich, wenn man am wiedererwachten Wirgefühl nicht teilhaben will, wenig Sinnperspektiven hat. In dem man auch das Vertrauen in Gegengemeinschaften verloren hat. Richy Müller und Wolfram Berger, die beide sowohl in Cuba Libre als auch in Die Beischlafdiebin auftauchen, verkörpern zwei Möglichkeiten, sich zu diesem Deutschland zu verhalten; bzw zwei Möglichkeiten, an ihm zu scheitern. Müller ist Melancholiker, Berger Trickster, beide rechnen nicht mit der rabiaten gesamtdeutschen Indifferenz, die soziale wie asoziale Impulse gleichermaßen ins Leere laufen lässt.

Das alle drei Filme durchziehende, unterdefinierte Fernweh passt dazu. Cuba Libre beginnt am Berliner "Cafe im Hauptbahnhof" (der heutige Ostbahnhof), in dem man zusammengefallen auf weißen Plastikstühlen herumlungert und von Kuba träumt. Am Ende kommt man nur bis zu einer anderen Bar, die "Cuba Libre" heißt und sich (laut imdb) im belgischen Ostende befindet. Das Plakative der Konstruktion nimmt man dem Film nicht übel, weil er den Gangsterfilmshowdown, den er an dieser Endstation der Imagination inszeniert, ernst nimmt. Weil er eine Ahnung davon gibt, dass die Differenz zwischen dem Kuba der Imagination und dem "Cuba Libre" der Wirklichkeit einen ganz in echt kaputt machen kann. Cuba Libre ist der düsterste, hoffnungsloseste der drei Filme, vielleicht aller Filme Petzolds: Ein Film über die Verlorensten unter den Verlorenen. Vorher in Pilotinnen: Das Leben ist die Zukunft, bis dahin wohnen wir im Hotel, im Auto; nachher in Die Beischlafdiebin: Das Leben ist die Lüge, bis auf weiteres wohnen wir auf Kredit, solange es noch irgendjemanden gibt, der uns glaubt. In Cuba Libre aber: Das Leben ist die Vergangenheit, in der Gegenwart wird nicht mehr gewohnt.

Außerdem ist Cuba Libre eine Art Blaupause für Phoenix. Es geht ebenfalls um ein ehemaliges Liebespaar, das sich zwar wiederfindet und das sich bis zu einem gewissen Grad aneinander wiederaufrichtet (bis hin, auch das eine Parallele, zur physischen Rekonstruktion der Frau), das aber die Liebesbeziehung nicht wiederaufnimmt, sondern lediglich wiederaufführt. Um an einen Geldkoffer zu kommen.



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