Tuesday, March 10, 2015

Precode Dieterle

Lawyer Man, 1932

Am Anfang flaniert der gut gelaunte neighborhood lawyer William Powell, in dem sich schnurrbärtiges Cityslickertum aufs Schönste mit volkstümlicher Restprovinzialität samt abergläubischen Ritualen (das Hufeisen über der Bürotür) paart, durch die Old Eastside. Die Szene ist durchdrungen von einer bestimmten Art von Lebendigkeit, wie ich sie vielleicht tatsächlich nur aus Warner-Filmen der 1930er kenne: Die Einstellungen sind in allen ihren Dimensionen komplett angefüllt mit Dingen und Menschen, aber verstopft fühlen sie sich trotzdem nicht an. Kein clutter, alle Elemente sind dynamisch und beweglich gedacht.

Bald zieht er, gemeinsam mit seiner Assistentin (Joan Blondell), in ein fancy Hochhausbüro um, wo er sich für den Großteil des Films mit politischen Intrigen und intriganten Blondinen umgibt (und kaum noch die Interieurs verlässt). Das große Ganze der Narration, Powells Aufstieg, Fall, Wiederaufsteig und schließlich sein freiwilliger Verzicht auf die große, glänzende Hochhauswelt, die Krise seines Arbeitsethos, die begleitenden amourösen Verstrickungen: All das ist selbst für Dreißigerjahreverhältnisse etwas unkonzentriert zusammengebaut. Umso schöner die 1000 inszenatorischen Details, die sich vor allem um den ewig agilen Powell anlagern. Zum Beispiel eine freudianische Nummer mit seiner Zigarre, die einmal pointenförmig erigiert, als er sich einer besonders begehrenswerten Blondine nähert. Blondell droht ihm dafür mit einer Schere. (Ansonsten ist ihre Rolle etwas undankbar, am Ende bekommt sie, obwohl sie ihren Boss wieder in die Old Eastside gelotst hat, nicht einmal einen einzigen Kuss ab; schön aber, wie sie am Waschbecken in der Gerichtstoilette eine Zigarette auf dem Handtuchspender ablegt).

Kunst der Montagesequenz: Der Verlauf einer Gerichtsverhandlung wird nicht über das erzählt, was im Saal passiert, sondern darüber, wie ein übereifriger, eventuell auch betrunkener Gerichtsreporter wiederholt an der Tür vor dem Verhandlungssaal abgewimmelt wird.


"You can't do this! You can't run around in a public hallway with nothing but a towel!"

Inserts: Uhren, Telefone, Frauenbeine (insbesondere fokussiert auf Schuhe), Schallplatten.




Scarlet Dawn, 1932

Ein precode-Film über die russische Revolution; wohl um an die 20 Minuten auf knapp unter einer Stunde gekürzt, man merkt das: what a mess. Aber immer noch viel los.

Douglas Fairbanks Jr. gibt, sehr slick, geleckt und ziemlich unverdeckt brutal, den Aristokraten, der Anfangs noch mit Kameraden schäkernd im Zug gen Moskau fährt, dort angekommen eine ausgelassene Party feiert, weil er schon einmal dabei ist, gleich noch ein Dienstmädchen vergewaltigt (dem er, das sieht man in Großaufnahme, zu diesem Zweck buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzieht). Dann bricht die Revolution aus. Mit dem Bildregister des Films ist sie offensichtlich nicht kompatibel, es gibt ein paar zwischengeschnittene Archivaufnahmen von Paraden und Straßenkämpfen, dann dringen ein paar Plünderer in den Fairbanks' Palast ein, weil das eben noch von ihm vergewaltigte Zimmermädchen (Nancy Carroll, die das komisch schiefe an ihrer Rolle nicht so recht zu transzendieren vermag) zu ihm hält.

Die beiden reisen dann nach Istanbul. Aushandeln müssen sie währenddessen ein neues Rollenverständnis: Weil sie jetzt nicht mehr seine Sklavin ist, kann die Beziehung nicht mehr auf Vergewaltigung gründen. Das wäre dann vielleicht, in einem etwas sorgfältiger ausgearbeiteten (vielleicht einfach: in einem etwas sichtbareren) Film, eine politische Pointe: Befreit wird nicht das Proletariat als Ganzes, aber doch diese eine Frau. (Sie heiraten dann bald, er verfällt später einer anderen, kehrt dann wieder, in der besonders durchgeknallten letzten Szene, die Konzentrationslagerbilder vorweg zu nehmen scheint, zu ihr zurück - alles reichlich gaga).

Sie kommen schließlich in Istanbul an. Erschreckend selbstverständlich ist der Rassismus des Films gegenüber den Einheimischen. Wobei alles offensiv Kulisse bleibt. Die Welt der beiden besteht fast ausschließlich aus einer ärmlichen Unterkunft; und diese wiederum fast ausschließlich aus einem mit einem ornamental verzierten Gitter verschlossenen Fenster, um das herum Dieterle nicht nur ein, zwei, sondern eine lange Reihe von Szenen baut. Wie als würde er sich angesichts der vielen Schrecken, die sein Film mal anhäuft, mal verkörpert, verzweifelt aber nicht ohne Eleganz an einen letzten Rest zweckfreier Schönheit klammern; wie, als würde dieses eine verzierte Fenster dem Film die Verwerfungen der Weltgeschichte ebenso vom Leib halten können wie die eigene Unfähigkeit, ästhetisch angemessen auf diese Verwerfungen zu reagieren. Ernüchternd dagegen das harte, quadratische Gitter der türkischen Vermieterfamilie (?).









Weitere Details: Statuen, vor allem weibliche, goldene. Reitszenen.

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