Thursday, October 06, 2016

La naissance de l'amour, Philippe Garrel, 1993

Ich hatte den Film schon einmal gesehen, vor zehn Jahren. Im Gedächtnis geblieben war mir in erster Linie eine Düsternis und eine Schwere, die ihn von den anderen Garrel-Filmen in meiner Erinnerung unterscheidet. Beim Wiedersehen war mir sofort, bei seinem ersten Auftauchen, klar, dass das vor allem anderen an Lou Castel liegt. Der hat eine massive körperliche Präsenz, die alles um ihn herum zu verschlingen droht. Seine Neurosen und seinen Narzissmus, auch die passiv-aggressive Verschlossenheit seines Blicks kenne ich von anderen Garrelmännern; aber diese anderen haben gleichzeitig noch etwas Filigranes, Jungshaftes, Verträumtes. Castel ist dagegen eine einzige entformte Wucht aus Missmut, Misanthropie und monströser Sexualität.

Der Sex ist sicherlich das Irritierendste dabei. Da ist ein Mann, der alles hasst, der seine innere Eintrübung auf die Welt projiziert (zum Beispiel auch auf den Irakkrieg), der ansatzlos losbrüllt und gerade die wenigen Menschen, zu denen er eine innere Bindung hat, wieder und wieder zur Sau macht. Aber derselbe Mann hat echten Spaß am Sex, und er kann das auch den Frauen vermitteln, er hat sogar in gewisser Weise interesselosen Spaß am Sex, er ist kein "Raubtier", sondern wird spielerisch, sanft, großzügig, wenn er bei Frauen ist, mit denen er schlafen will. Du bist anders als die anderen Männer, du leckst mich nicht nur, damit ich feucht werde, meint Johanna ter Steege in ihrem wunderbaren Rumpelfranzösisch - Garrel filmt sie da in einer Großaufnahme, die ihren Gesichtszügen etwas Brüchiges gibt. Das ist einer der Momente, die ich von der ersten Vorführung erinnert hatte, fast fotografisch genau. (Ein anderer solcher Moment: Die Reise nach Italien, die absolute Seelenfinsternis, die sich während der Autofahrt zwischen Castel und Leaud aufspannt, der utopische Umschnitt auf die flirrende Schönheit des Tages, der Natur, des Schnees am Grenzübergang.)

Vielleicht steckt in Castel etwas von Garrels Blick auf seinen Vater, auch wenn er diesem körperlich kein bisschen ähnelt. Mir scheint, dass es in Naissance um einen nach wie vor angsterfüllten Blick aus einer kindlichen Perspektive auf eine Vaterfigur geht, um den Blick auf die dunkle Sexualität des Vaters (die der Sohn in sich selbst wiedererkennt, aber nur als ein kaum noch wirkmächtiges Echo, so wie in Naissance Leaud wie ein fernes, fast schon lächerliches Echo auf Castel wirkt). Gleichzeitig geht es darum, diesem Körper beizukommen, ihn vorzuführen als das, was aus ihm geworden ist über die Jahre, zum Beispiel in der Szene, in der Castel sich gemeinsam mit Johanna ter Steege auszieht.

Vielleicht ist das der depressive Zwillingsfilm zum lichten Les baisers de secours, dachte ich beim Wiedersehen. Er wäre dann gleichzeitig eine Art antibiografisches Zerrbild. Die Rollen, die im älteren Film Garrel selbst, sein Vater, seine Frau, sein Sohn spielen, werden in einer nur leicht verschobenen Konstellation von anderen, fremden, dabei zum Teil hochgradig ikonischen, fast mythischen Schauspielerkörper übernommen. Die Perspektive wechselt, nicht mehr der jüngere Mann und dessen halbwegs harmonische Kleinfamilie stehen im Zentrum, sondern der ältere Mann und dessen destruktives Liebesleben. Es geht nicht länger darum, mit der Kamera den Blick der geliebten Frau zu suchen (selbst in der Cunnilingus-Szene ist entscheidend, dass der Kamerablick nicht mit dem von Castel in eins fällt); sondern darum, dass ein geisterhaft schwebender tracking shot einer Blondine auf ihrem Weg zum Meer hin auf eine Weise folgt, als sei diese entkörperlichte, aber vor Begehren vibrierende Bewegung das wichtigste auf der Welt.

No comments: