Monday, October 10, 2016

Scattered Clouds, Mikio Naruse, 1967

Naruses letzter, unfassbar grandioser Film beginnt Ton in Ton: Beige, Weiß, Hellbraun, Grau, das matte, eigehegte Grün von Stadtbepflanzung. Dazwischen hier und da ein paar Tupfer Rot und Rosa. Zum Beispiel die Blumen auf dem Tisch zwischen der weiblichen Hauptfigur, Yoko Tsukasa und ihrem Mann. Der bald danach bei einem Verkehrsunfall stirbt. Yuzo Kayama spielt den Schuldigen, einen Angestellten, der im Auftrag seines Firma gehandelt hat und vor Gericht freigesprochen wird. Unerbittlich sind bei Naruse selten die formalen Institutionen, dafür aber immer die informellen Institutionen, die Ökonomien des Familiären: Die Familie ihres toten Mannes macht sich in Windeseile daran, sie aus dem Familienregister streichen zu lassen.

Tsukasa und Kayama begegnen sich zum ersten Mal auf der Beerdigung. Der Blickwechsel bindet die beiden unausweichlich aneinander. Immer wieder tritt er in ihr Sichtfeld, selten gelingt es ihr, das Gesicht abzuwenden. Beide sind füreinander eine Überforderung.

Der Tod zerstört nicht nur ihre in den ersten Minuten mit fast sturer Insistenz etablierte Hoffnung auf ein Familienleben, sondern auch seine. Seine Trennung von der hübschen Verlobten im blassblauen Kleid vollzieht sich in einer in Schnitt, Lichtsetzung und Bewegungsdramaturgie exakt durchkalibrierten Szene, die einem Ritual gleicht: er schaut aus dem Fenster, legt die Arme aufs Fensterbrett, zieht sich dann zurück, die Vorhänge werden zu- und wieder aufgezogen, ihr Kopf senkt sich nach dem Wiederaufziehen leicht, sie greift sich ihre weiße Handtasche, verlässt seine Wohnung. (Nach wie vor kann ich da nicht alle Zeichen lesen: Es ist dem Film wichtig, klarzumachen, dass die beiden miteinander schlafen, obwohl sie nicht verheiratet sind; aber ist auch in dieser Szene das Zuziehen der Vorhänge ein Zeichen für Sex? Oder heißt das rasche Wiederaufziehen gerade, dass er sie zurückweist?)

Scattered Clouds ist die einzige Zusammenarbeit Naruses mit Toru Takemitsu. Dessen elegische, modernistisch kalte Streicherkompositionen verleihen dem Film eine sehr eigene Textur, harsch und unversöhnlich, dabei trotzdem fließend. Die Musik hebt die Geschichte deutlicher aus dem allgemeinen Fluss der Zeit heraus, sie setzt einen eigenen Fluss in Gang. Eher als bei anderen Filmen Naruses hat man das Gefühl, dass etwas Schritt für Schritt durchgearbeitet wird. Die Gesten sind in gewisser Weise irreversibel, es gibt keinen Rückfluss mehr in einen geteilten Alltag.

Der entscheidende Umschlagpunkt kommt, wenn sie mit dem Bus aufs Land fährt, und er ihr bald folgt. Da gibt es ein anderes Grün, eines, das alle anderen Farben und Tonalitäten langsam aber sicher aus dem Film verdrängt, das die beiden umfängt, sie fast verschlingt, und doch nicht zum Medium ihrer Liebe, sondern lediglich zum Medium der Unmöglichkeit ihrer Liebe wird. Und das, obwohl sie in einer besonders grünen Szene seine Küsse regelrecht zu trinken scheint (mit ihrem ungemein rezeptiven, immer nur alles aufnehmenden Gesicht). Am Ende singt er ein Lied für sie, weil er nicht bei ihr bleiben kann. Dann ist der Film zu Ende, und auch Naruses Kino.

2 comments:

Robert said...

"Zuzihen der Vorhönge" hat mich fast lahm gelegt. Zuzihen habe ich sehr bestimmt als chinesichen Namen für irgendwas dechiffriert. Vorhönge hatte etwas Niederländsches/Skandinavisches. Vll auch Vorhölle. Diese sich perfekt in den Text eingliedernden Tippfehler hatten einen sehr schönen Effekt kurzzeitiger wie totaler Irritation. Neue, tolle, spannende Dinge kündigten sich an, die kennengelernt werden können. Leider kam dann irgendwann doch sehr schnell der Kontext und alles wurde klar.

Sehr schöner Text übrigens. Gibt mir das Gefühl ein Trampel zu sein, der seine Wahrnehmung noch etwas feinjustieren muss. :

Robert

Lukas Foerster said...

durch die dopplung hatte das einen interessanten effekt das stimmt ("vorhönge" könnte auch eine naziböseweichtaussprache sein); aber ich hab's jetzt trotzdem korrigiert, ich kann nicht anders.