Saturday, January 07, 2017

16. Hofbauerkongress: Auto-Erotik

Ein Leben auf dem Beifahrersitz: Schon in der ersten Szene von Joe d'Amatos sehr schönem Dirty Love ist Terry Jones den Blicken und Handgreiflichkeiten eines Kraftfahrers ausgesetzt, der über ihren Körper so selbstverständlich verfügt wie über den Schaltknüppel, welcher wiederum auf einen anderen Knüppel verweist. Auf ihrer Flucht aus der Heimat in Richtung Tanzschule landet sie auf zwei weiteren Beifahrersitzen, die fast wie automatisch dieselben Mechanismen, Blickachsen reproduzieren. Die Männer mögen am längeren Hebel sitzen, letztlich sind auch sie dem Sexualdispositiv Auto ausgeliefert. D'Amato - ein Materialist des Begehrens.

Eine tolle Gegenszene eine Vorführung später in der vierten Episode der gleichfalls sehr schönen FWU-Serie "Der Liebe auf der Spur": Ein fast schon fiebrig verträumtes Teeniemädchen mit "Vom Winde verweht"- und sonderbarerweise auch Blauwal-Fantasien lehnt sich in abenteuerlicher Fantasie-Raubtierkluft an eine ebenso stylisch aufgetakelte amerikanische Limousine, die im Westdeutschland der 1980er wie ein UFO wirkt. Der junge Mann, den sie sich mit dieser Pose anlachen will und der die ganze Szene über an einem eher jämmerlichen Moped herumschraubt, aber nicht einmal das in Gang bekommt, ist hoffnungslos überfordert.

Wenig später sitzt er mit einer Anderen in einem Auto, aber er sitzt auf dem Trockenen. Das Auto fährt nicht, er tut lediglich so, als würde er über die Highways in seinem Kopf rasen. Als er sich dann endlich der bereits ziemlich frustrierten Beifahrerin zuwendet, stellt er sich ziemlich ungeschickt an und wird von ihr schnell zur Ordnung gerufen. Freilich ist ihre Vorstellung einer automobilen Romanze, die sie wenig später in die Tat umsetzt, auch nicht nur ein wenig creepy. Denn während sie ihn zärtlich zu streicheln beginnt, fragt sie ihn gleichzeitig über seine Karrierepläne aus. Ohne seinen Meisterbrief und sein commitment zur Rolle als Familienvater wird sich der Mechanismus ihres Begehrens nicht in Gang setzen.

Insofern ist Dirty Love bei aller Härte, mit der Körper in Begehren und Begehren in Geld umgerechnet wird, nicht unbedingt der pessimistischere, resigniertere Film. Der eine Mann, der ihren Körper nicht gleich bei der ersten Begegnung in Stimulationssegmente zerlegt, schenkt ihr aus heiterem Himmel ein Fahrrad. Ein Fahrrad hat keinen Beifahrersitz. Insofern sind die langen Passagen, in denen d'Amato Terry Jones beim Radeln filmt und sie in deep focus langsam in den Bildvordergrund gleiten lässt, Sinnbilder einer erotisch-technischen Utopie. Am Ende allerdings gibt sie das Fahrrad zurück. Und nimmt, auch wenn man das zum Glück nicht mehr sieht, wieder auf dem, wie die bittere Schlusspointe zeigt, strikt patriarchal strukturierten Beifahrersitz platz.

(Wie verhält sich Dirty Love zu Dirty Dancing? Wie eine Demaskierung? Wie eine Reduktion? Oder doch eher wie eine Verallgemeinerung?)

1 comment:

vannorden said...

Dem möchte ich entgegenhalten, dass ich glaube, dass in DIRTY LOVE nicht das Rad die Utopie ist, sondern das Tanzen. Terry kommt ja nach Richmond um Tänzerin zu werden, um ihr Hobby zum Beruf zu machen. Sie möchte wo hin kommen und nimmt erst die so schön von dir beschriebenen Beifahrersitze, nur um dann auf das Rad umzuschwenken. Aber dies ist auch eine Abkehr. Das spielt vll auch in die Szene, in der der Stripper sie nicht zu befriedigen weiß, da seine Potenz ihn verlässt. Ihm scheint das Auto (oder der Reichtum) zu fehlen. Vll leidet er auch unter der radelnden Unabhängigkeit. Sie jedenfalls regiert sehr forsch und herablassend auf ihn. Intimität und gegenseitiges Verständnis sehen anders aus. Das Ende wird so wieder zum Happy End, da es zeiltich auf den Kopf gestellt wird und damit dass Tanzen eine ganz andere Verortung wiederfährt, wie zu Beginn. Denn erst kommt das Vortanzen und der Erfolg. Ihr Traum von "wo hinkommen" wird wahr. Doch er ist weder per Auto noch per Rad erreicht. Der Film endet nicht mit dem wahrgewordenen Traum, sondern mit einer anderen Szene. Der in der sie das Rad wieder zurück geben und sich mit der Niederlage zufrieden geben möchte. Doch "der eine Mann, der ihren Körper nicht gleich bei der ersten Begegnung in Stimulationssegmente zerlegt" zeigt ihr noch was anderes als das Rad. Er zeigt ihr, dass es nicht um das "wo hinkommen" geht, sondern um das Tanzen, um Spaß zu haben und eben bei sich zu sein. Das DIRTY LOVE damit endet finde ich bezeichnend. Die Utopie ist, dass Träume wahr werden können, nicht mit Beifahrersitzen oder dem Abschied von anderen, sondern durch die frühe Utopie von DER LIEBE AUF DER SPUR", nämlich sich selbst zu mögen und damit aus dem Auto und vom Rad zu steigen.